Blutige Stille by Michael Jensen

Blutige Stille by Michael Jensen

Autor:Michael Jensen [Jensen, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2022-04-13T12:33:13.317000+00:00


12

Berlin – Neukölln

Erwin Volkmar. Der Mann war eben achtzehn Jahre alt geworden und schon auf dem Weg zur Legende. Wechselausleger. Damit waren die meisten seiner Gegner im Ring überfordert. Mal deckte er links und schoss die Rechte ab, im nächsten Moment täuschte er über rechts und platzierte seine Linke in der Leberflanke seines überrumpelten Kontrahenten. Das Publikum in der kleinen Arena des Boxklubs Neukölln tobte.

»Boxen hat Zukunft«, meinte Georg, der mit seinen Brüdern vorn auf den besten Plätzen saß. »Nur Schlappschwänze und Pudernasen gehen noch zum Pferderennen. Echte Männer wetten hier. Wir müssen in diesem Geschäft einen Fuß in die Tür bekommen.«

»Volkmar hat dich vorhin ganz schön vermöbelt, Georg«, sagte Max und spielte auf ein Sparring an, das zum Aufwärmen gedacht gewesen war. Und in dem der zweitälteste Sass nicht gut ausgesehen hatte. Er hatte durch den Ringkampf zu viel Muskeln entwickelt und war fürs Boxen schlichtweg zu langsam.

»Wärst du nicht mein Bruder, würde ich dir für diese Bemerkung eine kostenlose Gesichtsmassage verpassen, mein Lieber.« Georg lachte. »Wenn du so weiter machst mit deiner Plauze, kannst du in zwei Jahren vornüber deine Füße nicht mehr sehen. Von den anderen, unbedeutenden Kleinteilen ganz zu schweigen.«

Georg Sass hatte sich innerhalb von drei Jahren vom klapprigen Hosenscheißer zu einem Muskelberg gewandelt. Acht-Finger-Schorsch trainierte jeden Tag. Entweder bei den Ringern oder indem er Bäume fällte, das Holz bearbeitete und Stämme schleppte. Neuerdings versuchte er es hin und wieder mit dem Boxen, allerdings hatte er gegen leichtere Gegner kaum Chancen, da sie seinen Hammerschlägen auswichen und ihn mit Dutzenden kleineren Hieben eindeckten.

»Boxen ist für mich nur eine Nebensache«, erwiderte Georg unleidlich. »Außerdem ist dieses Luftei Volkmar viel zu schnell für mich. Könnte ich bei ihm nur einmal einen Haken landen, dann würde ich ihn damit zum Mond schießen.«

»Die Weiber boxen jetzt auch«, meinte Max. »Sollen nicht mal schlecht sein. Vielleicht sollten wir auch mal bei denen vorbeischauen.«

»Stell dir eine Frau vor, die so aussieht wie der Volkmar«, witzelte Georg. »Mit so eener Visage verjeht dir doch allet! Nee, nee.«

Tatsächlich waren in Volkmars Gesicht bereits jene typischen Folgen von Schlägen verewigt, die er während seiner Cliquen-Zeit auf der Straße, später im Training und in den Wettkämpfen hatte einstecken müssen. Das Nasenbein schien ein Haufen wahllos verheilter Knochentrümmer zu sein und gab dem Aussehen des Mannes etwas ungeheuer Brutales und Drängendes. An den Jochbeinen und Augenbrauen hatten sich typische Wülste gebildet, die Franz an das Bild eines Neandertalers erinnerten, das er in einem Lexikon gesehen hatte. Er schien über Georgs Idee, ins Boxwettgeschäft einzusteigen, nicht begeistert zu sein. Überhaupt hatte sich während seiner Abwesenheit für seinen Geschmack zu viel beim Syndicat verändert. Toni hatte ihn von der Vereinbarung mit Ehrhardt in Kenntnis gesetzt. Zudem hatte sie Ian wieder in seine alte Funktion als Chef der Edelklubs eingesetzt. Und nun hatten auch seine Brüder noch ein paar Geschäftsideen. In der Vergangenheit hatten sich ihre Vorschläge immer als Luftnummern entpuppt.

»Die Buchmacher haben sich Hoppegarten und Karlshorst zurückgeholt, seit Klante weg vom Fenster ist«, meinte Georg. »Die Rennleitung hat ihnen die Exklusivrechte für die Bahnen gegeben.



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